Persönliche Eindrücke, internationale Realität und das Träumen von einer besseren Zukunft

Eindrücke von der WONCA EUROPE 2019 

Über den Tellerrand zu blicken und sich mit Menschen anderer Herkunft auszutauschen, mit Ärzten zu reden, die in anderen Gesundheitssystemen agieren und ihre Ausbildung anders erfahren haben als wir, ist meiner Meinung nach immer eine Bereicherung. Da es uns hilft zu reflektieren, inspiriert zu werden und oftmals auch an Essentielles zurückerinnert zu werden. Kein besseres Thema ist hierfür geeignet als eines, welches die Essenz der Allgemeinmedizin ausmacht - Menschlichkeit.

Unter dem Motto „Family Medicine - the human side of medicine”( zu dt. Familienmedizin - die menschliche Seite der Medizin) versammelten sich über 1000 Ärzten Europas in Bratislava/Slowakei. 

WONCA 2019

Nach der eineinhalbtägigen VdGM Preconference für junge Allgemeinmediner zeigte sich die Hauptkonferenz wie so oft vielfältig. Sie schaffte es den Bogen vom Philosophieren über Grundsätze in der Medizin, das Erlernen von Fakten und neuesten Forschungsergebnissen, bis hin zum Träumen von einer besseren Zukunft zu spannen.

Diverse Workshops und Vortägen boten den Teilnehmern ein schier unerschöpfliches Reservoir an Ideen, um die allgemeinmedizinische Arbeit zu erleichtern, zu verbessern und von unterschiedlichen Systemen zu profitieren. Und ließen Raum für interessante Diskussion  mit Kollegen.

Im persönlichen Austausch mit meinen Kollegen zeigten diese sich oftmals dann doch sehr überrascht, wie qualitativ unterschiedlich die Ausbildung in Allgemeinmedizin international gestaltet ist. So haben beispielsweise unsere schwedischen, spanischen und holländischen Kollegen in ihrer Ausbildung zum Facharzt(!) für Allgemeinmedizin eigene verpflichtende Einheiten zum Thema Kommunikation, Gesprächsführung und Führen von Patienten zu absolvieren. 

Kuturelle und systemische Unterschiede fielen mir auch anhand des breiten Einsatzes von Messwerkzeugen und Tools zur Verbesserung der Qualität in der allgemeinmedizinischen Patientenversorgung auf. Wie dem in Großbritannien eingesetzten global mental health assessment tool. Dieses kann als Grundlage für eine ausführliche Beurteilung des mentalen Gesundheitszustandes und der Bedürfnisse von Patienten dienen. Es ist vom Patienten selber oder durch Anleitung auszufüllen und ist in den UK an die elektronische Gesundheitsakte angeknüft. (http://www.gmhat.org/)
Ein weiteres Beispiel, das MypositiveHealth tool hilft, die für den Patienten wichtigsten gesundheitsbeeinflussenden Dimensionen zu identifizieren und graphisch darzustellen. Somit kann es den Allgemeinmediziner unterstützen seine Patienten besser zu verstehen und in weiterer Folge als informierter Gatekeeper eine zielgerichtete Empfehlung für die weitere Versorgung auszusprechen .  Als „tracking tool“ verwendet, hilft es auch einen Fortschritt nach erfolgter Intervention sichtbar zu machen. (https://iph.nl/download/dialogue-tool/)

Besonders interessant waren meines Erachtens nach Beiträge zur allgemeinmedizinischen Forschung. Während wir meines Wissens nach in Österreich bis dato keinen einzigen PhD in Allgemeinmedizin ausgebildet haben, ist allgemeinmedizinische Forschung international eine anerkannte Domaine. Wie „weit“ es die allgemeinmedizinische Forschung bereits gebracht hat sieht man am Beispiel, des über die europäische Kommission mit mehreren Millionen Euros finanzierten, multi-zentrischen Projekts ALIC4E. Einer Studie zur Bewertung von Kosten und Nutzen des Einsatzes von Oseltamivir in der Primärversorgung. Die Veröffentlichung der vielversprecheden Daten ist in den kommenden Monaten zu erwarten.

Zum Abschluss besuchte ich einen Workshop über die Zusammenarbeit zwischen Allgemeinmedizin, Public Health und Sozialer Arbeit. Wir wurden eingeladen uns in einem Gedankenexperiment in ein Gesundheitssystem zu träumen, in dem „alles möglich ist“.  Welche Veränderung oder Instrumente würden wir uns als Allgemeinärzte in so einem utopischen Umfeld wünschen? Allen Gruppen gemein war der Wunsch eines interdisziplinären Miteinanders, einer Bündelung der gemeinsamen Kräfte und des holistischen Ansatzes der Patientenversorgung. Ob sehr modern im Sinne einer App in der alle Professionen, die im weitesten Sinne Patienten betreuen zusammengefasst sind. Oder klassischer im Sinne eines gemeinsamen Netzwerks/Raums in dem Ärzte mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten.  

Fazit. Nach fünf ereignisreichen Tagen trat ich mit geschärften Sinnen und neuer Motivation den Heimweg an. In Gedanken all das, was bei uns schon gut läuft (immerhin könnte ein österreichisches PHC Zentrum/Netzwerk unserem Gedankenexperimenten vielleicht einmal ähnlich sehen). Und auch jenes, was wir noch verbessern können (zum Beispiel:  Die international erstaunlich großen Anzahl an PhDs für Allgemeinmedizin oder aber auch das Auftreten eines selbstbewussten Allgemeinmediziners, der in einem System groß wurde, welches ihn professionell wertschätzt). 

Wer sich von dem Geiste der Wonca Europe selbst überzeugen möchte, hat im Juni nächsten Jahres in Berlin wieder die Möglichkeit dazu. Das Thema ist vielversprechend neue Träume und deren potenzielle Umsetzungen hervorzubringen. 2020 geht es um die zentralen Werte in der Allgemeinmedizin.

 

 

Weitere, kommende WONCA Veranstaltungen:
VdGM Forum 2019: https://www.vdgmforum2019.com/
EURIPA Rural Health Forum 07-09.November 2019 : https://www.euripaforum2019.eu/
WONCA Europe 2020: http://www.woncaeurope2020.org/
WONCA World 2020: http://wonca2020.com/