Bedeutung der Allgemeinmedizin für Patient, Familie, Gesellschaft

Es war wieder ein Motivationsschub, anders lässt es sich kaum beschreiben. Nach einer längeren Zugfahrt und einer Nacht im Hotel begann der 49. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin auf der Freien Universität Bozen. Diese liegt im Herzen der Landeshauptstadt Südtirols, wunderschön eingebettet in die Altstadt. In Bozen selbst gibt es eine Menge netter Cafés Restaurants und Ausstellungen, beispielsweise das Südtiroler Archäologiemuseum, die derzeitige Bleibe von Ötzi. Natürlich nicht zu vergessen die atemberaubende Lage Bozens, umgeben von den Dolomiten und eingerahmt von Weinbergen. In einem Hotel am Fuße der Dolomiten, unter der Seilbahn und flankiert von Weingärten, fand auch der Begrüßungsabend der Länder-Jugendorganisationen statt. Hier konnte man sich gleich in einem lockeren Rahmen austauschen.

Am 17. September begann die Preconference in der Freien Universität Bozen. Da es mir aufgrund der Fülle des Programmes nicht möglich war alle Veranstaltungen zu besuchen, werde ich hier versuchen, anhand der von mir besuchten Vorträge ein Bild des Kongresses zu zeichnen und zu schildern, welche Eindrücke dieser bei mir hinterließ.

Hausarztpraxis als Lern- und Lehrpraxis

Der Workshop begann mit kurzen Darstellungen wie die Lehrpraxen in Deutschland, Österreich und Südtirol strukturiert sind. In Deutschland ist die Dauer der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin mit fünf Jahren einheitlich. Die Dauer der Zeit in einer Allgemeinmedizinischen Praxis variiert jedoch stark abhängig von der jeweiligen Landesärztekammer. Ebenfalls die restlichen Inhalte sind stark variabel. In Österreich gibt es jetzt die neue Ausbildung zum Allgemeinmediziner, welche eine neunmonatige Basisausbildung beinhaltet gefolgt von 33 Monaten, von denen sechs Monate am Schluss verpfl ichtend in einer Lehrpraxis verbracht werden sollen. In Südtirol dauert die Ausbildung drei Jahre. Bevor man mit einem Modulsystem beginnen kann, ist zusätzlich eine Aufnahmeprüfung zu bestehen. Dort werden Praktika im Krankenhaus in unterschiedlichen Fachgebieten angeboten, welche jedoch ausschließlich tagsüber absolviert werden dürfen. Weiters gibt es Kurse zu bestimmten Themen. Die Ausbildung fi ndet immer zweisprachig statt und es wird eine 38-Stunden-Woche eingehalten. Im Anschluss zu der Vorstellung wurden Gruppenarbeiten durchgeführt zum Thema ‚Was für uns in der Lehrpraxis wichtig ist‘.

Nach dem Mittagessen startete die Eröffnungsveranstaltung. Hier ist mir ganz besonders der Direktor der Freien Universität Bozen, Prof. Dr. Walter Lorenz, in Erinnerung geblieben, der über die besondere Bedeutung der Dreisprachigkeit der Universität Bozen vortrug und den Bogen sehr eloquent bis zur Allgemeinmedizin spannte.

Anschließend fand das ‚Get together‘ in den Gängen der Universität statt, wo man mit lokalen Spezialitäten verwöhnt wurde. Auch musikalisch wurde das Ganze von einem Bozner Chor untermalt. Positiv überraschte mich, dass die Keynote lecture vom früheren WONCA Präsidenten Prof. Dr. Richard Roberts gehalten wurde. Jeder

der ihn schon erleben durfte weiß, wie wortmächtig dieser Mann ist. So war es auch diesmal kein Wunder, dass er den gesamten Saal „mitriss“. Wären nicht alle bereits vor seinem Vortrag von der Allgemeinmedizin begeistert, spätestens danach wären sie es gewesen. Es ist mir nicht möglich den Vortrag wiederzugeben, aber jeder der ihn noch nicht kennt, sollte dies ohnehin möglichst ändern. Bei der Session ‚Das ärztliche Gespräch/Arzt-Patienten-Interaktion‘ wurden verschiedene Studien präsentiert. Viele Teilaspekte der Arzt-Patienten-Interaktion, die man sich auch so erwartet hätte wurden nun untermauert. Als besonders interessant empfand ich,

wie ältere Patienten ihre Gesundheitsprobleme einschätzen, als bedeutend oder eher unbedeutend. Dies hängt, laut einer Studie der Universität Hannover in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Hamburg, eben nicht nur von der Schwere der Erkrankung ab, sondern auch von der Beeinträchtigung und vor allem auch von der Angst, welche die jeweilige Erkrankung bei den Betroffenen auslöst. Im Workshop ‚„Nicht der schon wieder!“ Unspezifisch funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden‘ ging es um „schwierige“ Patienten. In der Gruppenarbeit fanden wir heraus, dass jeder von uns mit einem ähnlichen Problem konfrontiert wurde. Wir suchten unter anderem nach dem „Problem“ des Patienten, nach einer „Lösung“, die es in vielen Fällen eben nicht gibt, und schlussendlich nach einer Möglichkeit, wie wir mit diesem Patienten umgehen können; und was eben diese Patienten in uns auslösen.

Der Festabend fand im Museion, dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen, statt. Anfangs, mit blauem Himmel und rosa Wolken, welche sich in der Glasfront des Gebäudes spiegelten, eröffneten die Präsidenten der drei Fachgesellschaften den Abend. Es wurde getanzt, gelacht und einige Auszeichnungen verliehen und das Ganze mit köstlicher kulinarischer Begleitung.

Der Workshop ‚Fahrtauglichkeit bei Demenz – hausärztliches Handeln zwischen Anspruch und Alltag‘ bildete am Samstag meinen persönlichen Abschluss eines intensiven, aber sehr lehrreichen Kongresses. Nach einem Impulsreferat des Institutes für Allgemeinmedizin von der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf diskutierten wir in Kleingruppen über unsere Erfahrungen mit dem Thema. Hier wies es sich wieder als besonders bereichernd aus, dass Kollegen aus drei verschiedenen Ländern anwesend waren, da man sich so über die gesetzlichen Hintergründe und auch über Kontrollorgane austauschen konnte. In meiner Kleingruppe wurde besonders hitzig über das Konfliktpotenzial der Begleiterrolle des Hausarztes für den dementen Patienten, im Gegensatz zur Verantwortung gegenüber der möglicherweise gefährdeten Umgebung diskutiert.

Mit diesen letzten Eindrücken verlies ich Bozen und freue mich schon auf ein baldiges Wiedersehen mit vielen Kollegen, deren Bekanntschaft ich auf diesem Kongress machen durfte.

Dr. Lukas Lehmann,
Arzt in Ausbildung für Allgemeinmedizin, Wien