Bericht zum Nordic Congress for General Practice 2019
Während dem Versuch, Aalborg von Österreich aus mit dem Zug zu erreichen, ist mein Respekt vor Greta Thunberg mit jedem mal umsteigen nochmal weiter gewachsen. Insgesamt 18 Stunden Reisezeit mit 4 Umsteigepunkten und einem verpassten Anschluss lassen dann doch Zweifel an der eigenen Bereitschaft zum klimaverträglichen Reisen aufkommen. Die Tatsache, dass Dänemark immer noch Dieselzüge hat, macht die Sache nicht unbedingt besser.
So mühselig der Weg, so lohnend das Ziel. Die jungen dänischen AllgemeinmedizinerInnen hatten für ihre nordische KollegInnen einen zweitägigen Vorkongress organisiert, der neben fachlich exzellenten Workshops auch den Austausch über die Unterschiede und Herausforderungen im Gesundheitswesen und der Allgemeinmedizinausbildung bot. Danach ging es lückenlos weiter mit einem ebenso beeindruckend und überraschend großem Hauptkongress.
Aalborg ist ein überschaubarer alter Industriehafen mit einer gemütlichen Altstadt und liegt in der Region Nordjytland im Norden des dänischen Festlandes. Aufgrund von Rekrutierungsproblemen hat man Aalborg als „entlegene“ Region definiert. Dies mag bei KollegInnen aus Island oder Norwegen belustigte Blicke hervorrufen, aber hat immerhin dazu geführt, dass Aalborg nun neben einer eigenen Medizinischen Universität (eine Lösungsstrategie, die wir auch aus Österreich kennen) auch eine Forschungseinheit für Allgemeinmedizin mit 13 Mitarbeitern hat (eine Lösungsstrategie, die wir in Österreich noch nicht kennen).
Mitglieder dieser General Practice Research Unit Aalborg waren es auch, die einige der Workshops anboten. So hat die Forschungsgruppe eine Kohorte von Kindern- und Jugendlichen mit Knieschmerzen (patellofemoral pain) untersucht und begleitet. In einem 5-Jahres Follow-Up hat man – überraschenderweise – herausgefunden, dass bis zu 50% der PatientInnen weiterhin Schmerzen hatten. Daraufhin wurde eine Intervention erarbeitet, die den PatientInnen helfen soll, die Beschwerden durch Anpassung der eigenen körperliche Aktivität besser in den Griff zu bekommen. Diese Intervention zeigte auch gute Erfolge im Vergleich zum bisherigen Vorgehen. Eine eigene Implementierungsgruppe innerhalb der Forschungseinheit beschäftigt sich nun damit, die Erkenntnisse leicht verfügbar für die AllgemeinmedizinerInnen zu machen.
Das Beispiel zeigt gut, dass Forschung in der Allgemeinmedizin einen hohen Wert hat. Es handelt sich einerseits um Patienten, die oft ausschließlich in der Allgemeinmedizin gesehen werden, aber eigentlich eine hohe Krankheitslast haben und von einer eigentlich einfachen, nicht-medikamentösen Intervention viel profitieren können.
In einem Skills-Workshop wurde die Indikation und Anwendung von Ultraschall in der Allgemeinmedizin besprochen. Dazu haben 8 Tutorinnen und Tutoren aus den Reihen der dänischen Gesellschaft für Ultraschall in der Allgemeinmedizin kurz die Unterschiede zwischen Point-of-care Ultraschall (POCUS) und diagnostischem Ultraschall erläutert. POCUS dient dabei nicht notwendigerweise einer Diagnosefindung sondern eher als Entscheidungshilfe für das weitere Managementi. Als praktische Beispiele, die auch vor Ort geübt werden konnten, waren dabei der Ausschluss eines abdominellen Aortenaneurysmas bei einem Risikopatienten mit in den Rücken ausstrahlenden Bauchschmerzen, die Messung von Restharn in der Blase, der Nachweis von Flüssigkeit im Kniegelenk oder die Darstellung einer intrauterinen Schwangerschaft. Die Tutoren haben dabei sehr klar die Limitationen und Möglichkeiten von POCUS dargestellt, aber auch gezeigt, wie einfach doch manche spezifische Fragestellungen mit etwas Übung beantwortbar sind.
Besonders beeindruckend am Kongress war auch zu sehen, wie sowohl Dänemark als auch Norwegen, beides Länder mit einer geringeren Einwohnerzahl als Österreich, uns in der Akademisierung voraus sind. Bei vielen Vortragenden AllgemeinmedizinerInnen stand ein PhD neben dem Namen, nicht wenige waren zeitgleich PhD-Studenten und in der Allgemeinmedizin-Ausbildung. Neben den Allgemeinmedizin-Instituten gibt es an allen Universitätsstandorten eigene „Research Units“ für Allgemeinmedizin mit einheitlichem Logo.
Wie bekommt man junge ÄrztInnen aufs Land? Mit dem Bus!
Diese banal klingende Idee wurde in der Region Sjaelland (eine "Region" ist vergleichbar mit einem Bundesland in Österreich) in die Tat umgesetzt. Da einige ÄrztInnen einer ländlichen Gruppenpraxis einen täglichen Pendelweg von über einer Stunde pro Weg hätten, hat die Region einen Mercedes-Sprinter in ein mobiles Büro umgebaut. Die ÄrztInnen können so einen Teil ihrer täglichen Arbeit von Unterwegs erledigen, etwa Befund durchsehen, telefonische Befundmitteilungen oder Email-Konsultationen (die in Dänemark schon relativ häufig sind). Kein Wundermittel, aber mal was anderes als ein „Landarztbonus“.
International und auch in Österreich nimmt die Begeisterung für die Anwendung von Ultraschall in der Allgemeinmedizin stetig zunimmt, ist die diesbezügliche Ausbildung noch nicht ausreichend entwickelt. Eine europäische Kooperation zur Erarbeitung und Verwendung gemeinsamer Standards und Lernmaterialien würde hier jedenfalls sinnvoll erscheinen und ist jedenfalls gewünscht.
Während in vielen Ländern Forschungsnetzwerke aus Allgemeinmedizinpraxen existieren, müssen diese in anderen erst aufgebaut werden. Norwegen hat mit PraksisNett in vielen Jahren harter Arbeit und mit Unsummen die Luxusvariante etabliert, inklusiver eigener IT-Infrastruktur zum Datenaustausch. Demhingegen versucht Finnland gerade das Niedrig-Preis Gegenmodell zu etablieren. Alle haben betont, wie wichtig das gegenseitige Lernen im Aufbau von solchen Netzwerken ist und sind offen für Anfragen. Sollte auch in Österreich konkrete Bestrebungen geben ein Forschungsnetzwerk zu etablieren, so gibt es hier sicher eine wertvolle, und leicht anzuzapfende Erfahrungsressource.