Die Herausforderungen der jungen Allgemeinmedizin im Jahr 2016 – überall gleich?

Einmal jährlich vor der Preconference des Vasco da Gama Movements bei WONCA-(Working Group For New and Future General Practitioners-)Europe sind die Mitglieder des Europe Council der partizipierenden Staaten aufgefordert, ihre Jahresberichte abzugeben. Diesmal stand die Frage nach besonderen Herausforderungen und Hürden in und nach der Ausbildung im Fokus. Trotz des hohen Engagements vieler junger und mittlerweile auch der Senior-Organisationen, kreative Lösungsideen zu finden, erscheint auch europaweit Allgemeinmedizin bis auf vereinzelte Ausnahmen immer noch benachteiligt im Vergleich zu anderen Spezialisierungen zu sein. Entgegen zunehmend positiver politischer Stimmung sind Entscheidungen zur Stärkung der Primärversorgung aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung lediglich Lippenbekenntnisse. Kurz vor der Preconference in Kopenhagen mit Beginn, 14. 6. 2016, hatten 23 Nationen ihren Bericht abgeliefert. Sehen wir uns den Zwischenstand an!

Nenne drei Topthemen, welche die Familienmedizin in Ausbildung in deinem Land betreffen

Ausbildungsqualität, Supervision und Mentoring

23*

• An den Universitäten ist Allgemein- und Familienmedizin nicht ausreichend implementiert, bessere Curricula werden nicht
umgesetzt

• und nicht ausreichend evaluiert.

4

 

1

• Die Ausbildungsqualität ist mangelhaft, Supervision findet nicht ausreichend bis gar nicht statt.

• Die eigentlich notwendigen Anforderungen der Ausbildung können kaum bis gar nicht erfüllt werden (z.B. Erfüllung der
Fallzahlen und Fallberichte, Portfolios).

8

3

• Vor allem in größeren Krankenhäusern ist es schwierig, die richtigen Fertigkeiten für den späteren Beruf zu erwerben, die
Einhaltung einer strukturierten Ausbildung fehlt.

• Man fühlt sich für die Herausforderungen in der Allgemeinmedizin nicht gewappnet.

4

 

1

• Angepasst an die Arbeitsbedingungen und Herausforderungen spezifischer Arbeitsorte (z.B. Stadt, Land, Brennpunkte wie z.B. hohe Migrationsraten …)

1

• Fehlendes Wissen über Evidence-based Medicine – diese existiert auch für die Allgemeinmedizin

1

• Fehlende Möglichkeiten der Ausbildung außerhalb des Krankenhauses, der Fortbildung außerhalb des Krankenhauses

2

 

Anerkennung als Fach, Wertschätzung

8

• Allgemeinmedizin ist keine Spezialisierung, es mangelt an Anerkennung und damit auch an Interesse an einer adäquaten
Ausbildung.

• Die Implementierung in das bestehende System als Fach gestaltet sich schwierig.

• Trends zur Implementierung einer kürzeren medizinischen Ausbildung nichtspezialisierter Ärzte (bei bestehender
Spezialisierung Allgemeinmedizin) – Demotivierung, Allgemeinmedizin als Fach anzustreben – „Hausärzte light“

3

 

1

1

• Fehlende Attraktivität des Faches nach außen

1

• Trotz Reformen zur Stärkung der Familienmedizin war es eine Reform am Papier, durch fehlende finanzielle Unterstützung kommt es zu keiner Weiterentwicklung.

1

• Fehlendes Selbstbewusstsein

1

   

Forschung

5

• Fehlende Strukturen und Netzwerke, daher geringe Attraktivität zur Forschung

4

• Fehlende Finanzierung außerhalb der universitären Netzwerke

1

 

Netzwerke

3

• In mehreren Ländern der EU gibt es noch keine Arbeitsgruppe in den Senior-Gesellschaften oder selbstständige Organisation für junge Allgemeinmediziner, die Anerkennung der jungen Generation wird jedoch durchwegs besser (zumindest sieben
Nationen ohne Eigenständigkeit).

• Internationale Netzwerke, Erfahrungen und Austausch sind zu fördern, diese sind extrem wichtig, sie sind Motivation für
junge Kolleginnen/Kollegen.

1

 

2

Arbeitsbedingungen

21

• Sich ständig ändernde Regelungen und permanente Änderungen der Finanzierung, Bezahlung, Verschreibung und eingeforderten Leistungen erschweren die Arbeit und den Einstieg in die (Lehr-)Praxis und bringen Hürden, die den Job unattraktiv machen.

• Fehlendes Wissen über das Gesundheitssystem macht das Überblicken der Änderungen noch schwieriger.

3

 

1

• Lange Dienste in den Krankenhäusern, der Kampf um die Reduktion der Arbeitsstunden ist eine Herausforderung.

• Ausbeutung durch Seniors, ohne Rücksicht auf Lebensqualität (auch ältere AllgemeinmedizinerInnen) in der Ausbildung,
ohne Rücksichtnahme auf Arbeitszeiten mit fehlender Rückmeldung im Sinne einer Ausbildung/eines Mentorings.

3

1

• Schwierigkeiten der Arbeitslosigkeit/Jobsuche: Probleme, eine Lehrpraxis zu finden, Schwierigkeiten, unmittelbar nach der Ausbildung eine Praxis zu finden, die man kaufen (oder in die man sich einkaufen) kann und es sich dann auch noch leisten kann, dafür eine gute Ausrüstung zu kaufen.

6

• Schlechte Bezahlung (auch im Vergleich zu Fachkolleginnen und -kollegen – Spitzenreiter: Ukraine 80 Euro im Monat)

5

• Geografische Herausforderungen in Ausbildung und Arbeit

• Ländliche Regionen

1

1

* manche Antworten schlüsseln sich in Unterpunkte auf oder behandeln zwei Punkte eines Themas, daher besteht hier ein Unterschied in der Summe der Einzelergebnisse im Vergleich zu der Gesamtzahl der teilnehmenden Länder (23).

 

Nenne drei Topthemen, welche die jungen AllgemeinmedizinerInnen
(in den ersten fünf Jahren nach Ende der Ausbildung) in deinem Land beschäftigen

Arbeitsbedingungen

15

• Work-Life-Balance und Arbeitszeiten

• Patientenlast (Mangel an Kolleginnen/Kollegen, > 4.000 Patienten/GP)

• Abnehmende Betreuungsqualität

4

3

1

o Allokation – Verteilung ohne Möglichkeit, Wohngegend (Stadt, Land, Gegend, Ort …) selbst aussuchen zu können

2

o Fehlende Ausbildung bzw. schlechte Ausbildungsqualität im Vorfeld

2

o Schlechte Jobchancen (für junge AM) I oder in der gewünschten Gegend

1

o Vorteile der Selbstständigkeit vs. Vorteile der Anstellung

 

• Bürokratie

1

 

Wertschätzung und Wahrnehmung durch die Politik

6

• Mangelnde Anerkennung der Wichtigkeit des Faches durch die Politik – Papierreformen ohne Konsequenz.

2

• Fehlendes Verständnis (älterer) Kolleginnen/Kollegen (z.B. betreffend Work-Life-Balance, Verwendung EbM-Guidelines,
Bedürfnis der Weiterbildung)

2

• Zunehmender Mangel erhöht den Druck auf und durch die Stakeholder – dieser wird auf die Jungen übertragen.

1

• Regelungen, die es erschweren, sich in Primärversorgungszentren niederzulassen (fehlender politischer Wille)

1

• Fehlendes Vertrauen der Patientinnen/Patienten durch Fehlentwicklungen (z.B. „Transformierung“ von Internisten und Kinderärzten zu GP, um unbesetzbare Stellen zu füllen) oder aber fehlende kontinuierliche Betreuung (aufgrund von häufiger
Vertretung, dies wird auch von den jungen Vertreterinnen/Vertretern als negativ empfunden).

1

 

Bezahlung (schlechter als jene von Spezialisten bzw. anderen Disziplinen, Unterschiede Stadt-Land)

10

• Unterschiedlichste Verträge, Gefahr der Ausbeutung

3

• Unterschiedliche Versicherungssysteme – Privatversicherungen vs. staatliche Versicherungen

2

 

Strukturelle/finanzielle Hürden

11

• Schlechte Praxisorganisation, fehlende Ausstattung

3

• Hohe finanzielle Belastung bei Übernahme

5

• Fehlende finanzielle Unterstützung

1

• Arbeiten in ländlichen Gebieten – keine Nachbesetzung aufgrund erschwerter Arbeit

2

• Fehlende moderne Zusammenarbeitsformen (Gruppenpraxen, Anstellungsmöglichkeit …)

1

 

Netzwerke und Kooperationen

3

• Interdisziplinär

 

• International

 

• Interkollegial

 

• Zwischen den Generationen – Anerkennung junger Kolleginnen/Kollegen

 

 

Forschung

3

• Mangelnder Zugang zu EbM-Guidelines, mangelnde Erstellung und Implementation

2

 

Weiterbildung, Supervision, Mentoring

6

• Erschwerte Weiterbildung und Forschung durch mangelnde Zeitressourcen und fehlende eigenständige Zeiteinteilung

2

• Kaum Zeit für Lehre

1

• Fehlendes Leadership-Training, fehlendes Mentoring

1

• Zu wenige fachspezifische Fortbildungen

1

 

Umgang mit modernen Medien im Kontext der Patientenbetreuung

1

 

Gibt es in deinem Land genug junge Ärztinnen/Ärzte, die Allgemeinmedizin als Karriere wählen?
Wenn nicht, woran könnte es liegen?

Ja,

• junge Ärztinnen/Ärzte haben erstmals öfter Allgemeinmedizin vor einer anderen Disziplin gewählt.

• seit ca. zwei Jahren, da die Ausbildung verbessert wurde.

6

Nein,

• wegen fehlender Wahrnehmung als gute Karrierealternative zur Spezialisierung

• wegen fehlender Ausbildungsqualität vor und nach dem Universitätsabschluss

• wegen deutlich höherer Arbeitslast bei gleicher oder geringerer Bezahlung

• denn auf uns kommt eine große Lücke zwischen jungen und erfahrenen AM zu.

• aufgrund mangelnder Wertschätzung und anderen Nachteilen im Vergleich zu den anderen Disziplinen wandern viele aus.

• eine starke privatärztliche Medizin stellt eine attraktive Alternative dar.

• demografische Entwicklung – Workload nimmt zu.

• fehlende Lehrpraxis bzw. fehlende Ausbildung der notwendigen Skills

• sogar erfahrene AM geben ihre Arbeit auf und wechseln in alternative Karrieren aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen.

• noch schlimmer im ländlichen Bereich

15

Unbekannt

2

 

Dr. Maria Wendler stellvertretend für 23 Mitglieder des European Councils of the Vasco da Gama Movement of WONCA